G. Fischer u.a. (Hrsg.): Monopole im medienindustriellen Komplex?

Cover
Titel
Monopole im medienindustriellen Komplex?. Verwertungsgesellschaften gestern, heute, morgen


Herausgeber
Fischer, Georg; Klingner, Stephan; Zill, Malte
Erschienen
Marburg 2023: Büchner-Verlag
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mala Loth, IAKH, University of Oslo

Was haben uns Verwertungsgesellschaften in Geschichte und Gegenwart zu sagen? In ihrem Vorwort zitiert Monika Dommann die Soziologin Susan Leigh Star, die vorschlägt „die vordergründig langweiligen Dinge zu studieren“ (S. 7), um die tieferliegenden Strukturen zu begreifen. Dazu bieten sich Verwertungsgesellschaften (zum Beispiel VG Wort, GEMA) ausgezeichnet an, versprechen doch ihre Namen (zumal auf Deutsch) keine glamourösen Abenteuer, sondern bürokratische Vorgänge des Lizenzierens von urheberrechtlich geschützten Werken: So eröffnet das Erforschen von Verwertungsgesellschaften beim genaueren Hinsehen Einsichten in die Kreativwirtschaft samt ihren ökonomischen Strukturen, in die politische Vertretung ihrer Interessen, in die Beiträge nationaler, inter- und transnationaler Akteure, in die Aus- und Einwirkungen technischer Entwicklungen und nicht zuletzt in das historisch gewachsene Urheberrecht.

Während sich Jurist:innen schon länger mit Verwertungsgesellschaften befassen, sind Historiker:innen immer noch dabei, die verschiedenen Verwertungsgesellschaften für sich zu entdecken. Dabei verstehen die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Georg Fischer, Stephan Klingner und Malte Zill, Verwertungsgesellschaften nicht nur als Forschungsgegenstand, sondern auch als „heuristisches Werkzeug“ (S. 26), in dem verschiedene Prozesse zusammentreffen, wie zum Beispiel die Verwaltung von Urheberrechten und Inkassovorgängen. Übergeordnet geht es ihnen um die Frage nach dem (nationalen) Monopolcharakter von Verwertungsgesellschaften – welchen die meisten Verwertungsgesellschaften stets noch innehaben – in historischer und gegenwärtiger Perspektive. Fischer, Klingner und Zill machen sich in ihrer Einleitung für einen interdisziplinären Zugriff stark, um den Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven genauer betrachten zu können.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, welche die Frage nach der Monopolstellung unterschiedlich beleuchten. Im ersten Teil beschäftigen sich die Kapitel mit heutigen Herausforderungen und Alternativen, denen sich die Verwertungsgesellschaften gegenübersehen. Dabei geht es im ersten Kapitel um das 2001 geschaffene Konzept der „Creative Commons“ und die damit verbundenen Herausforderungen für Verwertungsgesellschaften, die sich sowohl durch frei verfügbare Inhalte (open content) als auch durch zahlungspflichtige Inhalte (closed content) auftun. Der Jurist Fabian Rack geht hier der auch für die Arbeitspraxis von Historiker:innen relevanten Frage nach, inwiefern sich die Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft mit der frei lizenzierten Bereitstellung von Inhalten vereinbaren lassen. Rack kommt zu dem Ergebnis, dass in der deutschen Urheberrechtspraxis die Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft und open content grundsätzlich zusammengehen, jedoch unter anderem das sogenannte Bearbeitungsrecht (die Bearbeitung von Werken anderer) bezüglich digitaler Werke lückenhaft sei, was Jurist:innen in Zukunft noch beschäftigen werde.

Die Entstehung alternativer Verwertungsgesellschaften ist Gegenstand des zweiten Kapitels. Die Ursachen dafür liegen nach Konstantin Hondros in der Kritik seitens Kulturschaffender an der mangelnden Auswahl von Urheberrechtsvertretungen, in der Fragmentierung von Musik durch die Digitalisierung und in der Zunahme grenzüberschreitender Lizenzierungen begründet. Auch der EU-Rechtsentwicklung schreibt Hondros eine wichtige Rolle zu. Der Autor argumentiert, dass insbesondere die 2014 erlassene EU-Richtlinie 2014/26/EU zur Etablierung von alternativen Verwaltungsgesellschaften beigetragen habe, die dabei die Lücken der etablierten Verwertungsgesellschaften ausfüllen (zum Beispiel das Streaming von Musik). Auf diese Weise stellten alternative Verwertungsgesellschaften keine unmittelbare Konkurrenz zu den etablierten Verwertungsgesellschaften dar, sondern funktionierten eben gerade im Habitat dieser Monopole.

Globalisierung und Digitalisierung haben zu einer massiven Zunahme grenzüberschreitender (TV-)Ausstrahlungen geführt. Vor diesem Hintergrund erörtern die Informatiker Mihail Miller und Stephan Klinger den Einfluss der bereits genannten EU-Richtlinie und der Möglichkeit, direktes Mitglied einer ausländischen Verwertungsgesellschaft im Bereich Musik zu werden. Die beiden Autoren bewerten diese Form der Mitgliedschaft grundsätzlich als praktische Erleichterung, müsse doch jetzt nicht mehr bei grenzüberschreitenden Ausstrahlungen mit mehreren Verwertungsgesellschaften verhandelt werden. Auch führe es zu „Innovationsdruck“ (S. 83) aufseiten der Verwertungsgesellschaften, der sich in Zukunft zugunsten der Künstler:innen auswirken dürfte.

Der zweite Teil beleuchtet die Geschichte von Verwertungsgesellschaften. Ulrike Luttenberger untersucht aus ethnologischer Sicht die Gründungsgeschichte der 2016 ins Leben gerufenen senegalesischen Verwertungsgesellschaft Société Sénégalaise du droit d’auteur et des droits voisins (SODAV). So wie das 1973 nach französischem Vorbild eingeführte Urheberrecht im Senegal wurde auch die staatliche Verwertungsgesellschaft, das Bureau Sénégalais du droit d’auteur, trotz der senegalesischen Unabhängigkeit von Frankreich von 1960 bis in die 1990er-Jahre von der französischen SACEM unterstützt. Erst im Laufe der 1990er- und der 2000er-Jahre wurde die Gründung der privaten SODAV durch die Loslösung vom (post-)kolonialen Monopol möglich. Auf der Basis qualitativ geführter Interviews kommt Luttenberger zu dem Ergebnis, dass die Gründe für die Etablierung der SODAV in der von senegalesischen Künstlern durchgesetzten Urheberrechtsreform – mit Unterstützung der Weltbank –, aber auch in der Urbanisierung und damit einhergehenden Fragmentierung und Individualisierung senegalesischer Musik begründet liegen. Das Kapitel macht damit implizit auf das Forschungsdesiderat in der Geschichtswissenschaft zur Rolle internationaler Organisationen als Beiträger zur Kulturproduktion wie zum Beispiel der UNESCO und der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) aufmerksam. Es zeigt weiterhin die schwierige Vereinbarkeit zwischen dem europäischen, individualistisch gedachten Urheberrecht mit kollektivistisch-geprägten Produktionsprozessen von Musik in Afrika. Verwertungsgesellschaften in einen postkolonialen Zusammenhang zu setzen, lässt historisch die Möglichkeit zu, nicht nur kulturellen Hybridbildungen selbst (hier: Musik), sondern diesen auch im rechtlichen-organisatorischen Sinne nachzuspüren. Das Kapitel passt daher gut zu entstehenden Forschungsarbeiten über Verwertungsgesellschaften in (post-)kolonialer Perspektive.1

Die Musikwissenschaftlerin Christine Fischer stellt die Frage nach weiblicher Urheberschaft ins Zentrum ihres Kapitels. Als Mitglied der nahezu ausschließlich männlich-dominierten französischen Verwertungsgesellschaft SACEM (gegründet 1851), untersucht Fischer die Strategien der französischen Sängerin und Komponistin Pauline Viardot-Garcìas (1821–1910), um unter den gegebenen Umständen zu Ruhm und Geld zu kommen. Viardot-Garcìas Vorgehen bestand dabei darin, Frauenrollen, die zuvor von männlichen Sängern (zum Beispiel Kastraten) gespielt wurden, für sich selbst neu zu bearbeiten und die Rechte daran zu sichern. In diesen Neubearbeitungen stellte sie sich, wie ihre männlichen Kollegen, in die klassische Operntradition. Die Nachahmung männlicher Strategien zeigt sich auch darin, dass Viardot-Garcìas durch die Anfertigung von Fotografien in Visitenkartenformat sich selbst zu vermarkten und auf diese Weise ihre Popularität zu steigern wusste. Fischer macht indes gleichzeitig deutlich, dass letztere Strategie nicht immer direkt zu finanziellem Erfolg führte, Viardot-Garcìas sich dafür aber einen wichtigen Platz als Künstlerin in der französischen Opernmusik sicherte.

Der Historiker Malte Zill beschäftigt sich mit der durch das NS-Regime 1933 gegründeten Staatlich genehmigten Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte (STAGMA). Zill untersucht in seinem Beitrag die Verbindung zwischen der Zensur des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) und der ihm unterstellten STAGMA. Die in der Forschung vielfach vertretene These, die STAGMA sei von der NS-Diktatur genutzt worden, um mithilfe von Zensur die Musikbranche im Deutschen Reich zu kontrollieren, sei, so Zill, bisher noch nicht hinreichend empirisch untersucht worden. Auf Grundlage des internen Nachrichtenmagazins der STAGMA und archivalischen Quellen zeigt er auf, dass die STAGMA zwar per Gesetz keinen direkten künstlerischen Einfluss auf Texte und Konzertprogramme nehmen konnte, dafür aber dem RMVP mit der Beschaffung von Informationen (wie zum Beispiel Konzertprogrammen) zuarbeitete und so dessen Machtposition stärkte.

Im letzten Teil geht es vorwiegend um Praktiken von Verwertungsgesellschaften. So untersucht Sabine Richly aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive den Einfluss der Digitalisierung auf Verwertungsgesellschaften, die für Texte beziehungsweise Bilder zuständig sind. Der Beitrag zielt darauf ab, Geschäftsstrategien für Verwertungsgesellschaften in diesem Bereich zu entwickeln. Auch wenn die Erarbeitung von Strategiepapieren Historiker:innen überwiegend fremd sein dürfte, bietet der Beitrag verschiedene Denkanstöße, die für die Geschichtswissenschaft durchaus von Interesse sind, so zum Beispiel vielschichtigen Begriff der „Digitalisierung“, aber auch zu den künstlerischen und ökonomischen Unterschieden zwischen Verwertungsgesellschaften von Film, Musik, Text und Bild.

Jonas Weigel analysiert die Interessenskonflikte zwischen den unterschiedlichen Berechtigten in der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL), in der Tonträgerhersteller und „ausübende Künstler“ (S. 214), in erster Linie Musiker:innen, versammelt sind. Seit ihrer Gründung 1959 habe, so Weigel, vor allem die Digitalisierung zur Ausbildung verschiedener Interessen unter den Mitgliedern geführt. Als ein Beispiel führt der Autor die Verteilungsberechnung an, die Radio- und Fernsehbeiträge gegenüber denen in Clubs, Fußballstadien und Internetplattformen wirtschaftlich bevorteilt. Dies führe zu Interessenskonflikten zwischen den Mitgliedern, die nur unter hohem Verwaltungsaufwand zu lösen seien. Nach Weigel stelle die Digitalisierung an die GVL – wie an alle anderen Verwertungsgesellschaften – viele neue Fragen, auf die die Mitglieder der GVL gemeinsam Antworten finden müssten.

Um die Verwertungspraxis geht es schließlich auch im Kapitel von Rudolf Leška, Michal Tomčík und Pavel Zahrádka, das soziale Versorgungsansprüche von Musiker:innen in tschechischen Verwertungsgesellschaften in den Blick nimmt. Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln tun sich in diesem viele Fragen für die historische Forschung auf, bieten doch nicht nur Verwertungsgesellschaften jenseits des Eisernen Vorhanges spannende Fragestellungen, sondern auch die Transformation des ökonomischen Systems, das zwangsläufig einen Einfluss auf die Musikbranche und die Urheberrechtsentwicklung hatte.

Der vorliegende Band gibt erste Antworten auf die Frage nach dem Monopolcharakter im medienindustriellen Komplex. Durch die Digitalisierung, politische Emanzipationsprozesse und seit spätestens den 2010er-Jahren auch das europäische Recht entstehen langsam alternative Verwertungsangebote, welche traditionelle Verwertungsgesellschaften zwar nicht notwendigerweise entmonopolisieren, zumindest aber herausfordern. Dank seines interdisziplinären Ansatzes öffnet der vorliegende Band die Tore zu weiteren, vertieften Forschungen zu Verwertungsgesellschaften, die auch über die Frage nach der Monopolstellung hinausgehen. Die Autorin dieser Rezension hätte sich bisweilen noch mehr historische Analyse gewünscht, insbesondere wie unterschiedliche Akteure, zum Beispiel Jurist:innen, zur Entstehung und dem Erhalt dieser Monopole sowie zu der damit verbundenen Urheberrechtsentwicklung beigetragen haben. Dieses Desiderat kann indes dem vorliegenden Band nicht vorgeworfen werden, da dies einzig und allein dem in der Geschichtswissenschaft noch relativ jungen Forschungsfeld geschuldet ist. Stattdessen bietet der interdisziplinäre Zugang für Historiker:innen die Gelegenheit, sich von der Gegenwart und den Zukunftsvorstellungen von Verwertungsgesellschaften inspirieren zu lassen.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa die im Rahmen des ERC-Projektes „Creative IPR“ an der Universität Oslo laufenden Forschungsarbeiten zur Rechteverwaltung algerischer Künstler:innen durch die SACEM sowie der belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM im Kongo im 20. Jahrhundert.